Europas KI-Sprung: Zwischen Supercomputern, Gigafactories und digitaler Souveränität

Europas KI-Sprung: Zwischen Supercomputern, Gigafactories und digitaler Souveränität

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Die Euro­päi­sche Uni­on hat am 8. Okto­ber 2025 ihre ambi­tio­nier­ten Plä­ne zur Stär­kung ihrer Posi­ti­on im glo­ba­len Wett­lauf um Künst­li­che Intel­li­genz (KI) kon­kre­ti­siert. Mit der Vor­stel­lung der „App­ly AI Stra­tegy“ und der „AI in Sci­ence Stra­tegy“ setzt die EU auf einen umfas­sen­den Ansatz, der sowohl die brei­te Anwen­dung von KI in Wirt­schaft und Ver­wal­tung als auch die Spit­zen­for­schung und Talent­för­de­rung in den Fokus rückt. Das über­ge­ord­ne­te Ziel ist es, Euro­pa zu einem welt­weit füh­ren­den „KI-Kon­ti­nent“ zu ent­wi­ckeln, der auf digi­ta­le Sou­ve­rä­ni­tät und ver­trau­ens­wür­di­ge KI setzt.

Die Säulen der europäischen KI-Strategie

Die neue Dop­pel­stra­te­gie der EU-Kom­mis­si­on reagiert auf die wach­sen­de Erkennt­nis, dass KI nicht nur ein Pro­duk­ti­vi­täts­werk­zeug, son­dern ein stra­te­gi­sches Gut ist, das tief in die insti­tu­tio­nel­len, indus­tri­el­len und sicher­heits­po­li­ti­schen Sys­te­me der Uni­on inte­griert wer­den muss.

Apply AI: KI in Wirtschaft und Verwaltung verankern

Die „App­ly AI Stra­tegy“ zielt dar­auf ab, die euro­päi­sche Wirt­schaft, ins­be­son­de­re klei­ne und mitt­le­re Unter­neh­men (KMU) sowie die öffent­li­che Ver­wal­tung, in die Lage zu ver­set­zen, KI prak­tisch zu nut­zen, ohne eige­ne Ent­wick­lungs­ka­pa­zi­tä­ten auf­bau­en zu müs­sen. Im Zen­trum steht die För­de­rung von KI-Anwen­dun­gen in stra­te­gisch wich­ti­gen Indus­trie­zwei­gen. Dazu gehö­ren Sek­to­ren wie der Maschi­nen­bau, Mobi­li­tät, Ener­gie, Bau­wirt­schaft, Gesund­heits­we­sen, Phar­ma­zeu­ti­ka, Fer­ti­gung, Agrar- und Ernäh­rungs­wirt­schaft sowie Ver­tei­di­gung, Kom­mu­ni­ka­ti­on und Kul­tur.

Die EU plant die Ent­wick­lung kon­kre­ter Bran­chen­stra­te­gien mit kla­ren Mei­len­stei­nen und För­der­instru­men­ten für die nächs­ten drei bis fünf Jah­re. Um die Ein­füh­rung von KI zu beschleu­ni­gen, sol­len Maß­nah­men­pa­ke­te geschnürt wer­den, die von För­der­pro­gram­men und digi­ta­len Inno­va­ti­ons­zen­tren bis hin zu soge­nann­ten KI-Fabri­ken, Test­um­ge­bun­gen und Qua­li­fi­zie­rungs­aka­de­mien rei­chen. Die Kom­mis­si­on mobi­li­siert für die Umset­zung die­ser Stra­te­gie rund eine Mil­li­ar­de Euro aus bestehen­den EU-För­der­pro­gram­men. Damit soll eine „AI-First“-Denkweise in allen Schlüs­sel­sek­to­ren eta­bliert wer­den, die intel­li­gen­te, schnel­le­re und kos­ten­güns­ti­ge­re Lösun­gen ermög­licht.

AI in Science: Forschung und Talentförderung

Par­al­lel dazu posi­tio­niert die „AI in Sci­ence Stra­tegy“ die EU als Dreh­schei­be für KI-gesteu­er­te wis­sen­schaft­li­che Inno­va­ti­on. Das Herz­stück die­ser Stra­te­gie ist RAISE (Resour­ce for AI Sci­ence in Euro­pe), ein vir­tu­el­les euro­päi­sches Insti­tut, das oft als „CERN für KI“ bezeich­net wird. RAISE soll KI-Res­sour­cen bün­deln und koor­di­nie­ren, um die Ent­wick­lung und Anwen­dung von KI in der Wis­sen­schaft vor­an­zu­trei­ben.

Die Stra­te­gie sieht eine Ver­dopp­lung der jähr­li­chen Inves­ti­tio­nen aus dem Pro­gramm „Hori­zont Euro­pa“ in den Bereich KI auf über 3 Mil­li­ar­den Euro bis 2028 vor. Ein signi­fi­kan­ter Teil davon, 600 Mil­lio­nen Euro, ist expli­zit für die Ver­bes­se­rung und Erwei­te­rung des Zugangs zu Rechen­leis­tung, ein­schließ­lich der zukünf­ti­gen KI-Giga­fac­to­ries, für For­scher und Start-ups vor­ge­se­hen. Dar­über hin­aus unter­stützt die Kom­mis­si­on Wis­sen­schaft­ler dabei, stra­te­gi­sche Daten­lü­cken zu iden­ti­fi­zie­ren und die für KI in der Wis­sen­schaft benö­tig­ten Daten­sät­ze zu sam­meln, zu kura­tie­ren und zu inte­grie­ren. Um welt­weit wis­sen­schaft­li­che Talen­te und hoch­qua­li­fi­zier­te Fach­kräf­te für „Choo­se Euro­pe“ zu gewin­nen, sind zudem 58 Mil­lio­nen Euro für KI-Dok­to­ran­den­net­ze im Rah­men des RAI­SE-Pilot­pro­jekts ein­ge­plant.

Massive Investitionen in KI-Infrastruktur

Ein zen­tra­ler Pfei­ler der EU-Stra­te­gie ist der ent­schlos­se­ne Aus­bau einer eige­nen, leis­tungs­star­ken KI-Infra­struk­tur, um die tech­no­lo­gi­sche Unab­hän­gig­keit zu sichern.

KI-Supercomputer: Leistung und Souveränität durch JUPITER

Ein her­aus­ra­gen­des Bei­spiel für Euro­pas Bestre­bun­gen im Bereich der Rechen­leis­tung ist der JUPITER-Super­com­pu­ter (Joint Under­ta­king Pio­neer for Inno­va­ti­ve and Trans­for­ma­ti­ve Exas­ca­le Rese­arch). Er wur­de am 10. Sep­tem­ber 2025 in Jülich, Deutsch­land, als schnells­ter KI-Super­com­pu­ter Euro­pas und viert­schnells­ter Rech­ner der Welt in Betrieb genom­men. Mit einer Leis­tung von 1,4 Exa­FLOPS (FP64) und sogar über 70 Exa­FLOPS für KI-Anwen­dun­gen (FP8) bie­tet JUPITER eine gigan­ti­sche Rechen­ka­pa­zi­tät, ver­gleich­bar mit einer Mil­li­on Smart­phones oder meh­re­ren Mil­lio­nen Lap­tops. Sei­ne modu­la­re Bau­wei­se und die Tat­sa­che, dass er der ener­gie­ef­fi­zi­en­tes­te Super­com­pu­ter welt­weit ist, unter­strei­chen sei­nen Pio­nier­sta­tus.

JUPITER ist ein wich­ti­ges Puz­zle­teil im euro­päi­schen Bemü­hen um digi­ta­le Sou­ve­rä­ni­tät. Er soll die Vor­aus­set­zun­gen für die Ent­wick­lung Künst­li­cher Intel­li­genz in Deutsch­land und Euro­pa ver­bes­sern und dient als Beweis, dass Euro­pa durch die Ver­bin­dung natio­na­ler Visio­nen mit euro­päi­scher Zusam­men­ar­beit glo­ba­le Spit­zen­leis­tun­gen erzie­len kann.

AI Gigafactories und AI Factories: Rechenzentren für die Zukunft

Neben ein­zel­nen Super­com­pu­tern setzt die EU auf ein brei­te­res Netz­werk an Rechen­zen­tren. Die im Febru­ar 2025 gestar­te­te Initia­ti­ve „Inves­tAI“ soll beein­dru­cken­de 200 Mil­li­ar­den Euro für KI-Inves­ti­tio­nen mobi­li­sie­ren. Ein Kern­be­stand­teil davon ist ein neu­er euro­päi­scher Fonds von 20 Mil­li­ar­den Euro für die Finan­zie­rung von bis zu fünf KI-Giga­fac­to­ries. Die­se Giga­fac­to­ries sind als gro­ße Trai­nings­hubs kon­zi­piert, die jeweils rund 100.000 KI-Chips der neu­es­ten Gene­ra­ti­on beher­ber­gen sol­len – das Vier­fa­che der Kapa­zi­tät aktu­el­ler KI-Fabri­ken. Sie sol­len die Ent­wick­lung kom­ple­xes­ter KI-Model­le ermög­li­chen, ins­be­son­de­re für bahn­bre­chen­de Inno­va­tio­nen in Berei­chen wie Medi­zin und Wis­sen­schaft.

Das Finan­zie­rungs­mo­dell sieht eine Betei­li­gung der Kom­mis­si­on (17 %), der EU-Län­der (17 %) und der Indus­trie (66 %) vor. Ende 2025 wird ein for­ma­ler Auf­ruf zur Ein­rei­chung von Vor­schlä­gen erwar­tet, mit Bau­be­ginn frü­hes­tens 2026. Aller­dings äußern Bran­chen­ver­tre­ter Beden­ken hin­sicht­lich der Ren­ta­bi­li­tät und finan­zi­el­len Nach­hal­tig­keit des Betriebs die­ser Giga­fac­to­ries, was eine Anpas­sung der Rah­men­be­din­gun­gen für pri­va­te Inves­ti­tio­nen erfor­der­lich machen könn­te.

Ergän­zend zu den Giga­fac­to­ries baut die EU ein Netz­werk von 19 „KI-Fabri­ken“ in 16 Mit­glied­staa­ten auf. Allein am 10. Okto­ber 2025 wur­den sechs neue Stand­or­te in Tsche­chi­en, Litau­en, den Nie­der­lan­den, Rumä­ni­en, Spa­ni­en und Polen bekannt gege­ben. Die­se KI-Fabri­ken sol­len Start-ups, KMU und der Indus­trie direk­ten Zugang zu KI-opti­mier­ten Super­com­pu­tern, tech­ni­schem Fach­wis­sen und maß­ge­schnei­der­ter Unter­stüt­zung bei der Ent­wick­lung und Ein­füh­rung fort­schritt­li­cher KI-Lösun­gen bie­ten. Ins­ge­samt wur­den über 2,6 Mil­li­ar­den Euro für die Initia­ti­ve „KI-Fabri­ken und Anten­nen“ bereit­ge­stellt.

Regulierung und globaler Wettbewerb

Neben dem Auf­bau von Infra­struk­tur und der För­de­rung von For­schung und Anwen­dung legt die EU gro­ßen Wert auf einen ethi­schen und rechts­kon­for­men Rah­men sowie auf die Stär­kung ihrer Wett­be­werbs­fä­hig­keit im glo­ba­len Kon­text.

Der EU AI Act: Vertrauenswürdige KI als europäisches Modell

Die EU hat mit dem „AI Act“ (Regu­la­ti­on (EU) 2024/1689), der am 1. August 2024 in Kraft trat, das welt­weit ers­te umfas­sen­de Gesetz zur Regu­lie­rung Künst­li­cher Intel­li­genz geschaf­fen. Die­ses weg­wei­sen­de Regel­werk adres­siert die Risi­ken von KI und ord­net Anwen­dun­gen in drei Risi­ko­ka­te­go­rien ein, wobei beson­ders risi­ko­rei­che Sys­te­me stren­gen Anfor­de­run­gen unter­lie­gen, etwa in kri­ti­schen Infra­struk­tu­ren oder im Gesund­heits­we­sen.

Die EU posi­tio­niert sich damit als glo­ba­ler Vor­rei­ter, der sicher­stel­len will, dass KI men­schen­zen­triert und ver­trau­ens­wür­dig ist. Um die rei­bungs­lo­se Umset­zung des KI-Geset­zes zu gewähr­leis­ten, wur­de ein AI Act Ser­vice Desk ein­ge­rich­tet, der als zen­tra­le Anlauf­stel­le für Infor­ma­tio­nen und zur Klä­rung von Fra­gen dient.

Europas Position im globalen KI-Wettlauf: Souveränität als Ziel

Die EU steht im glo­ba­len KI-Wett­be­werb zwi­schen den Tech­no­lo­gie­groß­mäch­ten USA und Chi­na, wo deut­lich grö­ße­re Inves­ti­tio­nen getä­tigt und eige­ne gro­ße Sprach­mo­del­le ent­wi­ckelt wur­den. Die EU-Stra­te­gie zielt expli­zit dar­auf ab, die­se tech­no­lo­gi­sche Abhän­gig­keit zu ver­rin­gern und eige­ne KI-Kapa­zi­tä­ten auf­zu­bau­en. Das Mot­to „Buy Euro­pean AI“, ins­be­son­de­re im öffent­li­chen Sek­tor, soll die euro­päi­sche Inno­va­ti­ons­kraft för­dern und euro­päi­schen Alter­na­ti­ven den Vor­zug geben.

Trotz der beacht­li­chen Anstren­gun­gen der EU sind die geplan­ten Inves­ti­tio­nen im Ver­gleich zu den USA und Chi­na (dort sind Pro­jek­te in Grö­ßen­ord­nun­gen von 500 Mil­li­ar­den Euro geplant) klei­ner. Daher betont die EU die Not­wen­dig­keit, öffent­li­che Inves­ti­tio­nen durch pri­va­tes Kapi­tal zu flan­kie­ren und ein inno­va­ti­ons­freund­li­ches Regu­lie­rungs­um­feld sowie her­vor­ra­gen­de Stand­ort­be­din­gun­gen (von Fach­kräf­ten bis zu wett­be­werbs­fä­hi­gen Strom­prei­sen) zu schaf­fen. Die Her­aus­for­de­rung besteht dar­in, das vol­le Poten­zi­al der vie­len inno­va­ti­ven klei­nen und mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men Euro­pas zu nut­zen und sie gezielt beim Ein­satz von KI zu unter­stüt­zen.

Fazit

Euro­pa befin­det sich in einer ent­schei­den­den Pha­se des KI-Zeit­al­ters, die durch umfas­sen­de stra­te­gi­sche Maß­nah­men geprägt ist. Mit der „App­ly AI Stra­tegy“ und der „AI in Sci­ence Stra­tegy“ hat die EU einen kla­ren Fahr­plan vor­ge­legt, um die Ein­füh­rung von KI in Schlüs­sel­in­dus­trien zu beschleu­ni­gen, die For­schung vor­an­zu­trei­ben und eine neue Gene­ra­ti­on von Talen­ten zu för­dern. Der Bau von hoch­leis­tungs­fä­hi­gen KI-Super­com­pu­tern wie JUPITER und das Enga­ge­ment für ein Netz­werk von AI Giga­fac­to­ries und AI Fac­to­ries bil­den das tech­no­lo­gi­sche Rück­grat für Euro­pas Stre­ben nach digi­ta­ler Sou­ve­rä­ni­tät.

Wäh­rend der EU AI Act einen welt­weit ein­zig­ar­ti­gen Rah­men für ver­trau­ens­wür­di­ge und ethi­sche KI setzt, bleibt der glo­ba­le Wett­be­werb mit den USA und Chi­na eine zen­tra­le Her­aus­for­de­rung, die erheb­li­che, koor­di­nier­te Inves­ti­tio­nen und eine stra­te­gi­sche För­de­rung euro­päi­scher Lösun­gen erfor­dert. Das Ziel ist klar: Euro­pa will nicht nur Anwen­der, son­dern ein Gestal­ter der KI-Zukunft sein, der Tech­no­lo­gie zum Woh­le der Men­schen und im Ein­klang mit euro­päi­schen Wer­ten ent­wi­ckelt. Der Erfolg wird davon abhän­gen, wie effek­tiv die viel­fäl­ti­gen Pro­gram­me und Initia­ti­ven gebün­delt und in die Pra­xis umge­setzt wer­den, um aus dem „KI-Kon­ti­nent“ eine glo­ba­le Rea­li­tät zu machen.

Weiterführende Quellen

https://www.trendingtopics.eu/apply-ai-strategy-eu/

https://www.zdh.de/ueber-uns/fachbereich-europapolitik/europa-aktuell/eu-kommission-legt-strategie-zur-anwendung-von-ki-vor/

https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/EU-will-AI-first-Leitmotiv

https://germany.representation.ec.europa.eu/news/eu-kommission-legt-strategien-zur-anwendung-von-ki-und-fur-wissenschaft-vor-2025–10-08_de

https://www.investmentweek.com/eu-kommission-genehmigt-investition-von-einer-milliarde-euro-in-kunstliche-intelligenz-zur-forderung-strategischer-sektoren/