Fle­xi­bi­li­tät im Fokus: Recht­spre­chung stärkt betrieb­li­che Mit­be­stim­mung trotz Kandidatenmangel

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Die neu­es­te Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts mar­kiert einen bedeu­ten­den Wen­de­punkt im Ver­ständ­nis und in der Anwen­dung des Betriebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes in Deutsch­land. Die­se rich­ter­li­che Klar­stel­lung, dass Betriebs­rats­wah­len auch bei einer gerin­ge­ren Anzahl von Kan­di­da­ten als gesetz­lich vor­ge­schrie­ben gül­tig sind, unter­stützt die Fle­xi­bi­li­tät und Anpas­sungs­fä­hig­keit des Geset­zes an prak­ti­sche Betriebs­si­tua­tio­nen und hat weit­rei­chen­de Impli­ka­tio­nen für die betrieb­li­che Mitbestimmung.

Hin­ter­grund der Entscheidung

Recht­li­cher Rahmen

Das Betriebs­ver­fas­sungs­ge­setz bil­det das Fun­da­ment für die Bil­dung und Funk­ti­on von Betriebs­rä­ten in Deutsch­land und sieht vor, dass die Grö­ße des Gre­mi­ums pro­por­tio­nal zur Anzahl der wahl­be­rech­tig­ten Arbeit­neh­mer im Betrieb ist. Für Betrie­be mit 101 bis 200 Arbeit­neh­mern ist bei­spiels­wei­se ein Betriebs­rat aus sie­ben Mit­glie­dern vorgesehen.

Der kon­kre­te Fall

In dem ver­han­del­ten Fall einer Kli­nik mit etwa 170 Beschäf­tig­ten, bei der Betriebs­rats­wahl im Früh­jahr 2022, kan­di­dier­ten jedoch ledig­lich drei Mit­ar­bei­ter. Der Arbeit­ge­ber sah die Wahl auf­grund der zu gerin­gen Anzahl an Kan­di­da­ten als ungül­tig an und zog vor Gericht. Die Vor­in­stan­zen und schließ­lich das Bun­des­ar­beits­ge­richt sahen das anders.

Die Ent­schei­dung des Bundesarbeitsgerichts

Am 24. April 2024 bestä­tig­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt die Gül­tig­keit der Betriebs­rats­wahl trotz der gerin­gen Kan­di­da­ten­zahl (Az. 7 ABR 26/23). Es argu­men­tier­te, dass der Gesetz­ge­ber in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG den Wil­len aus­ge­drückt habe, dass Betriebs­rä­te in Betrie­ben mit min­des­tens fünf stän­dig wahl­be­rech­tig­ten Arbeit­neh­mern gewählt wer­den kön­nen, und dass dies auch für die Anpas­sung der Betriebs­rats­grö­ße an die tat­säch­lich ver­füg­ba­re Kan­di­da­ten­zahl gelte.

Juris­ti­sche Begrün­dung und Flexibilität

Das Gericht leg­te dar, dass in Situa­tio­nen, in denen weni­ger Kan­di­da­ten als vor­ge­se­he­ne Betriebs­rats­sit­ze vor­han­den sind, die Grö­ße des Betriebs­rats auf die nächst­nied­ri­ge­re Anzahl an Mit­glie­dern redu­ziert wer­den kann. Die­se Ent­schei­dung ver­deut­licht eine wich­ti­ge Fle­xi­bi­li­tät des BetrVG, um auf prak­ti­sche Her­aus­for­de­run­gen in der betrieb­li­chen Rea­li­tät zu reagieren.

Aus­wir­kun­gen und Bedeu­tung für die Praxis

Prak­ti­sche Bedeu­tung für Unternehmen

Für Unter­neh­men, ins­be­son­de­re KMUs, erleich­tert die­ses Urteil die Durch­füh­rung von Betriebs­rats­wah­len, indem es recht­li­che Unsi­cher­hei­ten redu­ziert und die Mög­lich­keit bie­tet, auch mit einem klei­ne­ren Gre­mi­um eine wirk­sa­me Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung zu gewähr­leis­ten. Dies kann ent­schei­dend sein, um die betrieb­li­che Mit­be­stim­mung auch in Betrie­ben auf­recht­zu­er­hal­ten, in denen es schwie­rig ist, genü­gend Kan­di­da­ten zu mobilisieren.

Bedeu­tung für die Arbeitnehmer

Für die Arbeit­neh­mer stärkt die­se Ent­schei­dung ihre Rech­te und ihre Ver­tre­tung in Betriebs­rä­ten, indem sie gewähr­leis­tet, dass auch unter nicht idea­len Umstän­den ein Betriebs­rat exis­tie­ren und funk­tio­nie­ren kann. Dies för­dert eine gesun­de Arbeits­um­ge­bung und kon­struk­ti­ve Zusam­men­ar­beit zwi­schen Arbeit­neh­mern und Arbeitgebern.

Fazit

Die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zeigt eine moder­ne Inter­pre­ta­ti­on des Betriebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes, die den rea­len Bedin­gun­gen in deut­schen Unter­neh­men Rech­nung trägt. Sie betont die Not­wen­dig­keit einer fle­xi­blen und pra­xis­ori­en­tier­ten Anwen­dung gesetz­li­cher Vor­schrif­ten, um eine effek­ti­ve betrieb­li­che Mit­be­stim­mung sicher­zu­stel­len. Die­ser Fall unter­streicht die Bedeu­tung der Betriebs­rä­te als zen­tra­les Ele­ment der deut­schen Arbeits­kul­tur und stärkt deren Rol­le in der dyna­mi­schen Arbeitswelt.

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